Das Internet ist allgegenwärtig und die Digitalisierung revolutioniert ganze Branchen.
Innovative Distributions- und Produktionsmöglichkeiten verändern ganze Branchen.
Apple iTunes bietet Musik zum einfachen Download an und verkauft auch gleich die idealen Endgeräte. Musikstreaming-Dienste wie Spotify machen (fast) jedes Album und Titel sofort und überall verfügbar. Video-on-Demand Anbieter wie AmazonPrime und Maxdome ersparen den Weg in die Videothek.
Neue Vertriebskanäle und Marktformen greifen tief in klassische Strukturen und Organisationen des Einzelhandels ein. Markenhersteller werden selbst zu Anbietern und eröffnen Flagship-Stores und Onlineshops. Die traditionellen Vertriebsformen des Groß- und Einzelhandels verlieren derweil an Kontur.
Über das Internet organisierte Sammeldruckverfahren und die Preistransparenz setzen klassische Druckereien „unter Druck“.
Keine Nische scheint zu klein, um sie nicht zu besetzen. Selbst Warengruppen, die noch vor kurzem als Web-untauglich galten wie Brillen, sperrige Möbel oder Lebensmittel finden zunehmend Anbieter mit reichlich Enthusiasmus und noch mehr Investorengeld.
Der Trend wird sich in den kommenden Jahren beschleunigen. Drucker, Staubsauger, Kühlschränke und Kaffeemaschinen ermitteln „selbstständig“ den Ersatzbedarf und bestellen die fehlenden Produkte gleich übers Netz.
Zukunftsmusik? Ja, aber nur noch eine Frage der Zeit und weitere Milliardenumsätze gehen an den klassischen Handelsformen vorbei. Und bald verlagern 3D-Drucker die Produktion mancher Produkte in die eigene Wohnung.
Der Groß- und Einzelwandel
Der Einzelhandel schimpft auf Amazon, die Druckbranche auf Flyeralarm, Videotheken und Musikhändler auf Netflix und Apple iTunes .
Und heute schimpft der Media-Markt-Verkäufer auf den Onlinehändler Amazon und dessen unverschämte Preise. Es gibt immer zu schimpfen über niedrigere Preise.
Aber haben Sie bei Amazon schon mal nach der Kundentoilette gefragt?
Und wo sind IHRE Stärken?
Die üblichen Verdächtigen sind leicht ausgemacht und bieten eine praktische Projektionsfläche für die Veränderungsängste vieler Branchen. Doch die größte „Gefahr“ stellt für manche Branche nicht etwa Amazon und Co. dar, sondern der Konsument. Eine HDE-Konjunkturumfrage (Handelsverband Deutschland) vom Frühjahr 2015 befragt seine Verbandsmitglieder nach den Faktoren „die den Konsum aktuell am stärksten positiv oder negativ beeinflussen“. Das Ergebnis dieser Umfrage präsentiert der HDE in einer sogenannten Schlagwortwolke, in der die Häufigkeit der Nennung von Begriffen die Größe ihrer Anzeige bestimmt. In der Reihenfolge von klein (wenig relevant) nach groß (sehr relevant) erscheinen die Begriffe „Kunde“ – „Markt“ – „Angebot und Preis“ – „Wetter“ und der mit Abstand größte Wortwolkenbegriff „Onlinehandel“.
Es wird also noch immer völlig verkannt, dass der Konsument inzwischen zum „aktiven Gestalter der Wertschöpfungskette“ (HDE-Präsident Josef Sanktjohanser) geworden ist. Spätestens wenn der Händler sich darüber aufregt, dass zunehmend Kunden in seinem Laden mit dem Smartphone die Artikelbarcodes abscannen, um den Preis mit einer Preissuchmaschine zu vergleichen, hat der Händler den Blick auf seine Kernkompetenzen verloren. Wenn man den Kunden den Service wegnimmt, dann zählt eben nur noch der Preis.
Amazon kennt zwar die Menschen nicht, aber die Software des Onlinehändlers erkennt das Einkaufsverhalten von Millionen von Kunden ebenso wie die individuellen Vorlieben und Einkaufsgewohnheiten jedes einzelnen seiner Kunden. Amazon sammelt Microdaten und weiß, was der Besucher der Amazon-Website zuvor schon bei Suchmaschinen recherchiert hat und kann bereits eine Vorauswahl anbieten. Amazon kennt die Kaufhistorie jedes Kunden und damit seine Vorlieben und kann geeignete Angebote unterbreiten und bedarfsgerecht Ersatz- und Folgeartikel anbieten.
Und womit betonen Sie Ihre Stärken?
Jeff Bezos macht auf Amazon genau das gleiche wie einst der erfahrene Fachhändler, der intuitiv ins richtige Regal griff, wenn der Kunde seinen Laden betrat. Der Fachhändler kannte die Menschen und ihren Geschmack sowie die aktuellen Trends aufgrund seiner Beobachtung und Erfahrung. Er erkannte den Bedarf und die Wünsche seiner Kunden oft schon am Gespür, spätestens nach einer freundlichen Beratung.
Gibt es diesen Fachhändler noch, der wie Amazon seine Kunden beim Namen kennt? Gibt es das Fachgeschäft, dass wie Amazon auch schnell nach Hause liefert und zudem noch kulant bei Nichtgefallen und Umtausch ist? Gibt es den Händler, bei dem Service und Freundlichkeit nicht nur Floskeln sind?
brandeins Wirtschaftsmagazin, Schwerpunkt Handel
Ich war vor einiger Zeit Gast bei einer Veranstaltung, in der ein Verkaufstrainer vor Einzelhändlern folgende chinesische Weisheit salbungsvoll kundtat:
„Wer nicht lächeln kann, soll keinen Laden eröffnen“.
Dafür erntete er „Aahs“ und „Oohs“ und begeistertes Lachen und Zustimmung im Saal. Es schien so, als ob der Trainer in diesem Augenblick eine bisher streng gehütete Erfolgsformel offenbart hatte. Die Begeisterung und Dankbarkeit für diesen Tipp lag spürbar im Raum. Ich fand den Moment befremdlich, wenn gestandene Einzelhändler mit teils jahrzehntelanger Tradition und Geschäftserfahrung für diese Binsenweisheit klatschen.